Anforderungen an eine gerechte Organallokation, aus ethischer Sicht

Will man in einem ersten Überblick – und nur darum kann es sich in diesem Abschnitt handeln – die wichtigsten Forderungen sammeln, die sich, aus ethischer Sicht, an ein Allokationssystem stellen lassen, ist es unerlässlich, sich eingangs der Rahmenbedingungen des Prozesses der Zuteilung von Organen an Transplantationsbedürftige zu vergewissern. Das soll kurz geschehen, im Rückgriff auf das in den «Grundlagen» (Kap. 4) Erarbeitete.

Zunächst ist daran zu erinnern, dass ein wie immer konstruierter Marktmechanismus als Zuteilungsinstanz ausgeschlossen werden muss: Bei der Allokation von lebenserhaltenden bzw. wesentlich lebensverbessernden Gütern sind alle Empfänger als Träger von Menschenwürde gleichberechtigt. Unfair, ja inhuman wäre es, den Ausgleich konkurrierender existenziell fundamentaler Interessen einer Einrichtung zu überlassen, welche den Stärkeren (beispielsweise im Hinblick auf Information, Bildung oder Finanzen) honoriert. Der Allokationsprozess hat nichts mit einem privatrechtlich gesteuerten Tauschvorgang zu tun, wohl hingegen mit einem nach allgemein akzeptablen Regeln geordneten öffentlich-rechtlichen Distributionsgeschehen.

Um Verteilungsgerechtigkeit also geht es. Sie muss im Prozess der Zuteilung von Organen unter der Bedingung nicht einfach knapper, sondern in erheblichem Masse unzureichend verfügbarer Güter angestrebt werden. Dabei zeichnen sich diese Güter dadurch aus, dass sie

  1. für jede und jeden Einzelne(n) im Prinzip unersetzbar, weil lebenserhaltend sind oder
  2. unersetzbar dadurch, dass nur über sie eine substantielle Verbesserung der aktuell stark belastenden individuellen und sozialen Lebenssituation gewonnen werden kann.
  3. Zudem handelt es sich um prekäre Güter insofern, als die Empfangenden sie möglicherweise unmittelbar nach der Zuteilung oder aber innert kürzerer bis längerer Frist verlieren, wobei
  4. ein verlorenes Gut endgültig unverfügbar geworden ist, nicht also auf einen weiteren Empfänger übertragen werden kann.

5.1.1 Zweckmässigkeit

Im Lichte dieser Rahmenbedingungen erhält Zweckmässigkeit als wesentlicher Aspekt von Gerechtigkeit besonderes Gewicht. So zwar, dass von einer Zuteilung von Organen immer dann abzusehen ist, wenn der Zweck der Allokation mit Sicherheit oder doch mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht erreicht werden kann. Die Gründe für die Ermittlung einer derartigen Situation sind in erster Linie medizinischer Natur, erhalten aber jetzt ethische Relevanz. Sie mögen im aktuellen Gesundheitszustand potentieller Empfangender liegen oder aber in physiologischen Eigenheiten, die als zwingende Kontraindikationen angesehen werden müssen.

Erwartungen bezüglich des postoperativen Verhaltens von Empfangenden zählen nicht unter die Kontraindikationen. Sie sind prognostischer Natur, also mit Ungewissheit behaftet. Tiefgreifende Verhaltensänderungen, herbeigeführt durch einschneidende existenzielle Er-fahrungen (die unausweichliche Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit), lassen sich nicht ausschliessen. Im Falle von Entscheidungen über Leben und Tod bzw. über eine wesentliche Verbesserung von Lebensqualität erlauben es Mutmassungen, ethisch gesehen, nicht, vom Grundsatz des «in dubio pro vita sive aegrotis» abzuweichen.

5.1.2 Absehbarer Erfolg

Der Verzicht auf Zuteilung ohne Aussicht auf zureichenden Erfolg rechtfertigt sich nicht allein über das Zweckmässigkeitsargument. Der mit einem hohen Lebensrisiko behaftete Einsatz von Organen verletzt ein – nicht nur im Kontext der medizinischen Ethik – hochrangiges Prinzip: nicht zu schädigen (nil nocere). Allgemein geschädigt würden aber all jene, die ebenfalls als Empfangende in Frage kommen; präzis wird jene Person verletzt, welcher, nach sorgfältiger Abwägung, das verlorene Organ zugesprochen worden wäre (vgl. Brenner 2003, 142 f.).

5.1.3 Menschenwürde, Anspruchs- und Freiheitsrechte

Für alle weiteren Schritte wird vorausgesetzt, dass die individuell verstandene Menschenwürde als absoluter Wert, der in allen das Transplantationswesen ausmachenden Handlungen verwirklicht werden soll, unbestritten ist. Diese Setzung lässt sich durch die weltweite Existenz internationaler wie nationaler Kodifikationen bzw. Deklarationen, welche sich zur Menschenwürde als jenem absoluten Wert bekennen, ethisch ausreichend plausibilisieren. Die von Individuen wie von Gesellschaften unterschiedlichsten Zuschnitts eingeforderte Achtung der Menschenwürde entspringt einem Bekenntnis und zugleich dem Willen, einer entsprechenden Praxis zu folgen. Zur Erinnerung: Beide, Bekenntnis und Wille, konkretisieren sich in einem für jedes Subjekt der Menschenwürde geltenden Anspruchsrecht, das die Grundlage der mit Würde verbundenen Freiheitsrechte sichert: das Recht auf jene minimale Versorgung, welche die Existenz als autonomes Wesen in Gemeinschaft allererst erlaubt. Eben darin besteht jene fundamentale Gleichheit und Symmetrie der Menschen, welche keinerlei primäre Diskriminierung verstattet (vgl. Tugendhat 1996, 333-335). Das lässt sich unmittelbar auf die Transplantationsmedizin übertragen, insofern sie dem Ziel verschrieben ist, den wohl grundlegendsten Teil jener Bedingungen für Autonomie zu sichern: das pure oder aber ein ausreichend günstig qualifiziertes Dasein.

5.1.4 «Transplantationsmedizinische Egalität»

Nach dem Prinzip der Zweckmässigkeit kommt darum an erster Stelle das Prinzip der transplantationsmedizinischen Egalität zum Tragen. An den Gütern, die zur Disposition stehen, hat niemand ein Vorrecht. Die Grundsätze der Gleichbehandlung (auf die Empfangenden bezogen) und der Unparteilichkeit (auf die Zuteilenden bezogen) müssen daher den Allokationsprozess beherrschen. Weil alles Zuteilungshandeln unter der Bedingung der Insuffizienz steht, es also nicht möglich ist, alle im Grundsatz gleich berechtigten Ansprüche zu befriedigen, verlangt ethische Konsistenz, Gleichbehandlung und Unparteilichkeit durch das Prinzip der Chancengleichheit weiter zu präzisieren: Gerecht kann nur ein Transplantationssystem heissen, das allen Bedürftigen in seinem Rahmen im Prinzip die gleichen Aussichten gewährt, in den Genuss eines nur in ungenügender Menge verfügbaren existenziellen Gutes zu gelangen.

5.1.5 Von formaler zu materialer Gerechtigkeit

Diese primären Aspekte eines Transplantationswesens, das sich Gerechtigkeit zum Masse nimmt, sind formaler Natur. Insofern das Transplantationssystem zu einem als Gerechtigkeitsraum charakterisierten sozialen Umfeld gehört, bedürfen sie der Ergänzung durch sekundäre formale Aspekte. Ein gerechtes Transplantationssystem ist der Rechtssicherheit verpflichtet, muss sich mithin durch öffentlich im diskursiven Prozess ermittelte Verfahren auszeichnen, die ihrerseits drei Bedingungen zu genügen haben: Die Verfahren müssen überall im Gerechtigkeitsraum den Allokationsprozess formal und material strukturieren; sie müssen dies überall in gleicher Weise tun; sie müssen der Kontrolle sowie der Evaluation offen stehen, im Hinblick auf Zweckmässigkeit ebenso wie auf Einheitlichkeit und Effizienz. Dies geschieht – wiederum zweckmässiger- und also gerechterweise – am besten durch Einrichtung einer für den ganzen Gerechtigkeitsraum zuständigen Zuteilungs-, Kontroll- und Evaluationsinstanz. Dezentrale Zuständigkeiten unterbieten dagegen den Gerechtigkeitsanspruch.

Das Formale bildet nur die eine Seite der Gerechtigkeit. Fassbare Gestalt gewinnt diese über materiale Bestimmungen. Die Tradition hält wenigstens deren sechs bereit, die Ch. Perel-man (1967, 16) folgendermassen rekapituliert:

  1. Jedem das Gleiche.
  2. Jedem gemäss seinen Verdiensten.
  3. Jedem gemäss seinen Werken.
  4. Jedem gemäss seinen Bedürfnissen.
  5. Jedem gemäss seinem Rang.
  6. Jedem gemäss dem ihm durch Gesetz Zugeteilten.

Die erste Konzeption lässt sich nicht verwirklichen; die Anzahl der benötigten Güter reicht nicht zur Deckung des gesamten Bedarfs. Die zweite Konzeption verträgt sich nicht mit dem Gebot, für jeden und jede die minimalen Bedingungen individueller Autonomie zu gewährleisten. Der Mangel an benötigten Organen bildet nicht den einzigen Grund; existenzielle Endlichkeit und der Widerfahrnischarakter menschlichen Daseins, der jegliche Garantie verunmöglicht, sind wenigstens gleich wichtig. Zumindest prima facie sind Verdienste belanglos, und das gilt ebenso für Werke, also für die dritte Konzeption. Die vierte Konzep-tion spricht hingegen Zentrales an, denn bedarfsgerechte Zuteilung ist eine Forderung der Zweckmässigkeit; sie schliesst in der Transplantationsmedizin Aspekte der Dringlichkeit ein. Das Problem dieser Konzeption liegt im unbestimmten Fürwort: Der Organmangel schliesst die Berücksichtigung von jeder und jedem aus. Die fünfte Konzeption enthält eine angesichts der fundamentalen Notlage der Betroffenen ethisch nicht akzeptable sekundäre, allenfalls gar primäre Diskriminierung. Bleibt die sechste Konzeption, der man zustimmen kann, die jedoch keine Auskunft über die ethisch erforderliche materiale Ausgestaltung des Allokationsprozesses erteilt. Sie fokussiert auf Rechtssicherheit, lässt hingegen offen, mit welchen Zielen und auf welchem Wege das Gesetz als Referenzgrösse ausgestaltet wird.

5.1.6 Funktion traditioneller Konzepte

Diese erste Analyse wirkt zunächst ernüchternd. In ein anderes Licht gerückt und bezogen auf Gerechtigkeitsorte im Allokationsprozess, gewinnen jedoch wenigstens vier der sechs Konzepte Aussagekraft. So bindet in einem gerechten Transplantationssystem das Bedarfsprinzip sowohl den behandelnden Arzt wie die im Transplantationssystem für die Warteliste Zuständigen, nicht weniger die Zuteilungsinstanz. Das Gleichheitskonzept formuliert ein Gebot für die Aufnahme in die Warteliste, während das Verdienstkonzept wenigstens dazu auffordert, die Berücksichtigung von einschlägigen Verdiensten im Allokationsprozess we-nigstens zu prüfen. Wir lassen es bei diesen unvollständigen Erwägungen bewenden, nicht jedoch ohne aus ihnen eine generelle Anforderung an ein der Gerechtigkeit verpflichtetes Allokationssystem gewonnen zu haben: Dem Gerechtigkeitsanspruch genügt ein Alloka-tionssystem nur dann, wenn es zulässt, an einzelnen Stellen des Prozesses und – dies vor allem, das verlangt das Prinzip der Billigkeit – auf der Stufe konkreter Entscheidungen traditionelle Konzeptionen heranzuziehen, wenn sie helfen, die ethische Konsistenz und Kohärenz eines zu fassenden Beschlusses zu verbessern.

5.1.7 Die (den) Bedürftigste(n) bevorzugen

Eine weitere Überlegung nimmt die prekäre Situation der Organallokation schärfer in den Blick, um weitere Anforderungen an ein gerechtigkeitsorientiertes Zuteilungssystem zu gewinnen. Dabei können wir uns auf eine breit geführte Diskussion in der einschlägigen Literatur stützen, die sich zu gut begründeten Präferenzen verfestigt (und entsprechend auch in der Botschaft niedergeschlagen) hat: Zu helfen und nicht zu schaden ist das Leitmotiv auch der Transplantationsmedizin. Abgesehen von Triagesituationen, rückt sie die vorrangige Berücksichtigung des bzw. der Bedürftigsten in den Vordergrund. Hier geht es darum, eine akute Lebensgefahr zu beseitigen. Dies entspricht der traditionellen ärztlichen Ethik ebenso wie dem Differenzprinzip und insbesondere der darin hervorstechenden Regel, den Vorteil des bzw. der am schlechtesten Gestellten zu maximieren, wie sie John Rawls in seiner Gerechtigkeitstheorie expliziert hat.

Eine Präzisierung tut hier not: Der Gleichheitsgrundsatz – das erste Konzept in der oben wiedergegebenen Aufzählung – verlangt, dass Bedarf und insbesondere Dringlichkeit bezogen auf den Gerechtigkeitsraum als ganzen ermittelt werden. Das impliziert erneut die gerechtigkeitsethisch unterlegte Erwartung, dass Zuteilungen von einer einzigen Stelle für den ganzen Gerechtigkeitsraum vorgenommen werden.

Eine essentielle Voraussetzung für die zweckmässige Ausgestaltung dieser Lösung springt nun allerdings ins Auge: In der zentralen Zuteilungsstelle müssen ausreichende Daten über sämtliche auf eine Transplantation Wartende laufend auf dem neuesten Stand gehalten werden. Nur wenn die erforderlichen Informationskanäle eingerichtet und die Informationspflichten rechtlich zwingend geregelt werden, lässt sich Verteilungsgerechtigkeit überhaupt anstreben. Und ein Allokationssystem ist nur dann als gerecht zu qualifizieren, wenn es zeitverzuglose Kommunikation zwischen allen von einem konkreten Zuteilungsgeschehen betroffenen Stellen garantieren kann – und zwar vor einem (allenfalls ersten) Entscheid der Zuteilungsstelle. Das Konzept eines Vernehmlassungs- bzw. Konsultationsverfahren, wie Schott es entwirft, entspricht dieser Gerechtigkeitsforderung. Es erlaubt, «kurzfristige Änderungen im Gesundheitszustand eines Patienten oder logistische Probleme» zu berück-sichtigen, reduziert damit den Raum, in welchem Billigkeit Platz greifen kann, zugunsten des Prinzips der Rechtssicherheit (2001, 362).

5.1.8 Ermessen, Billigkeit, Kontrolle, Rekurse

Bei der Verteilung zu knapper Güter erhält das Gerechtigkeitselement der Zweckmässig-keit besondere Bedeutung. Es lässt sich, wie wir gesehen haben, mit dem Nutzenprinzip vermitteln: Eine auf Dringlichkeit ausgerichtete Allokation, die ihren Zweck nicht zu erreichen vermag, ist nicht nur ineffizient, sondern verletzt berechtigte Ansprüche – also Rechte – Dritter, denen vorenthalten wird, was anderwärts ohne Erfolg verloren geht (vgl. 4.7.2.1). Ein gerechtigkeitsorientiertes Transplantationssystem wird danach die situationsspezifische Beachtung und Vermittlung mehrerer Kriterien zum Prinzip erheben, mit Wegleitungen zur Lösung komplexer oder gar dilemmatischer Entscheidungssituationen arbeiten, ohne jedoch relevante Gesichtspunkte – also Kriterien – in eine eingefrorene Rangfolge zu zwängen. Sie muss, stufengerecht, Spielraum für Ermessen definieren. Insbesondere ist angesichts der Komplexität, aber auch der Geschichtlichkeit, und das heisst: der Einmaligkeit von Allokationsentscheiden der Billigkeit Raum zu geben – der besseren Gerechtigkeit, die, wie wir gesehen haben, nicht nur der Füllung von Regelungslücken dient, sondern auch Platz für Mitleid, Verständnis, Wohlwollen, ja Liebe lässt (Tammelo 1977, 82); für Entscheidungen, die richtig sind, selbst bzw. gerade wennwenn sie festgeschriebenen Regeln zuwiderlaufen (vgl. Nussbaum 1997, 37–42). Diese Sicht schliesst ein, dass die Ansprüche von Rechtssicherheit und insbesondere von Praktikabilität so stark wie möglich zurückgeschnitten werden. Ungerechtigkeit von vornherein in Kauf zu nehmen, ist aus ethischer Warte nicht annehmbar. Der Gesichtspunkt der Praktikabilität rechtfertigt sie nie. Auch die Rechtssetzung muss sich die Einsicht zu eigen machen, dass ohne angemessene Überforderung der Weg zur besseren Gerechtigkeit versperrt bleibt.

Freilich ist von einem Gerechtigkeitssystem zu verlangen, dass es Kontrolle und Besprechung solcher Entscheide im Nachhinein vorschreibt – um zu lernen, zu modifizieren, allenfalls zu intervenieren. Das verlangen sowohl das Prinzip der Rechtssicherheit als auch jenes der Fehlerfreundlichkeit bzw. leichten Revidierbarkeit von Regelungen in komplexen, unübersichtlichen, aus verschiedenen Gründen rasch sich wandelnden Handlungsfeldern, zu denen die Transplantationsmedizin gehört.

Zur Gerechtigkeit des Allokationssystems gehört die Durchsetzung von Gerechtigkeit, d.h. nicht allein die Transparenz von Kriterien und Verfahren, sondern die formell gesicherte Möglichkeit für Betroffene, gegen faktisches Vorgehen und Entscheide zu rekurrieren, um sie überprüfen, gegebenenfalls neu aufrollen, bereinigen bzw. aufheben zu lassen.

Schliesslich wird sich ein gerechtigkeitsorientiertes Allokationssystem die Frage gefallen lassen müssen, ob es bloss abstrakter oder auch konkreter Gerechtigkeit verpflichtet ist. Wenn, wie wir, zustimmend, bei Rawls lesen, eine «Gerechtigkeitstheorie […] aufgrund der uns bekannten Bedingungen des menschlichen Lebens gerechtfertigt sein» muss, soll sie überhaupt gerechtfertigt werden können (1979, 494), dann lässt sich dies auch als Anforderung an ein Allokationssystem lesen: Konkret wird es unter anderem dann, wenn es die existenziale Endlichkeit menschlichen Daseins beachtet. Es sollte also billigerweise Spielraum lassen für einen Zuteilungsentscheid, welcher, überzeugende Gründe vorausgesetzt, sich nicht am fiktiven Ziel eines möglichst gleich hohen Gesundheitsniveaus für alle Kranken (anders Schott 2001, 369) orientiert. Zwar gilt fürs Erste der Grundsatz, dass jedem Menschen kraft seiner Würde das gleiche Daseinsrecht zusteht. Und insofern geniesst eine Verteilung, welche die grössere Anzahl von Leben rettet, prima facie Vorrang (Schott 2001, 374). Doch dieser Grundsatz lässt in Triagesituationen angemessene Differenzierungen zu – so, wie wir unten (5.4.7.2) zeigen, mit Blick auf das biographische (oder chronologische) Alter. Der bedürftigere Patient, der zugleich signifikant älter ist als sein Konkurrent, dessen physiologische Eigenschaften einen ins Gewicht fallenden besseren Transplantationserfolg erwarten lassen, kann darum für sich nicht mehr ins Feld führen, seine Behandlungschancen würden bei Vorzug seines Konkurrenten in unzulässiger Weise verringert. Zwar werden sie in der Tat herabgesetzt, in der Folge möglicherweise gar aufgehoben; doch von unzulässig lässt sich nur reden, wenn die Lebenserhaltung, ganz abstrakt genommen, unbedingten Vorrang vor Lebenserwartung genösse. So nur hat die Meinung Bestand, die Allokation dürfe «erst dann nach der [individuell ausgewiesenen] Erfolgsquote vorgenommen werden, wenn auszuschliessen ist, dass durch die Behandlung Interessen irgend eines in der Warteliste eingetragenen Patienten unwiderruflich verletzt werden» (Schott 2001, 371).

Dass ein Zuteilungsentscheid, welcher sich nicht blind an der «absoluten Priorität» (ebd., 374) der Rettung des einzelnen Lebens orientiert, aus Gründen der Gleichbehandlung wie der Rechtssicherheit immer nur von der zentralen Zuteilungsinstanz getroffen werden darf, sei bloss der Vollständigkeit halber nochmals erwähnt.

Einzuräumen ist, dass die Beachtung der existentialen Endlichkeit Entscheidungen schwieri-ger macht. Die den hier vorgetragenen Überlegungen widersprechende Lösung Schotts hat den Vorteil der Eindeutigkeit und relativen Einfachheit. Sie empfiehlt sich im Blick auf Trans-parenz und Rechtssicherheit. Doch sie trägt den «bekannten Bedingungen des menschlichen Lebens» weniger gut Rechnung und ist (nur!) insofern gerechtigkeitsdefizitär.

Mit diesen Hinweisen lassen wir es bewenden. Die Diskussion der aktuellen Praxis sowie der im Entwurf des Transplantationsgesetzes enthaltenen Vorkehrungen werden weitere Gele-genheit bieten, Anforderungen an ein auf Gerechtigkeit ausgerichtetes Allokationssystem zu erläutern.