Würde der Kreatur vs. Menschenwürde?

Senioren-Universität Bern, September 2009

Das Konzept der Würde der Kreatur fand bekanntlich1 vor siebzehn Jahren – genau am 17. Mai 1992 – Eingang in die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft.2 Das neue Konzept löste zunächst bei Juristen, Theologen und Philosophen eine rege Diskussion aus.3 Mittlerweile ist das Konzept wegen seiner wirtschaftlichen und wissenschaftspolitischen Brisanz auch auf politischer Ebene ein heisses Thema. Würde der Kreatur wird für die einen zur Gefährdung der Menschenwürde, während die anderen eintreten für die Anerkennung und Wahrung der Würde sowohl der Menschen als auch der nichtmenschlichen Lebewesen, letztlich der natürlichen Entitäten insgesamt.

1. These

Die heute laufende Auseinandersetzung um die Würde der Kreatur ist weniger ein Wettkampf in einem Sprachspiel als vielmehr ein Streit zwischen unterschiedlichen Interessen. Doch wird jener Wettkampf als Mittel eingesetzt: Philosophische und theologische Reflexionen werden etwa dazu benutzt, die faktisch führenden Interessen zu verschleiern. Zur Zeit geschieht dies insbesondere mit der Behauptung, die Rede von der Würde der Kreatur beeinträchtige (Fischer 2007), ja unterminiere (Baranzke 2008, 58) das Konzept der Menschenwürde, in der Folge die normative Kraft der Menschenwürde als oberster sittlicher Wert. Es ist darum wichtig und dringend, die im Wettkampf des Sprachspiels eingenommenen Positionen kritisch zu klären, auf ihr Ziel hin und unter ihrem sittlichen Aspekt. Dies ist die These, die ich im Folgenden zu verteidigen suche. Selber argumentiere ich mit dem Ziel, Sinn und Zweckmässigkeit der Rede von der Würde der Kreatur zu festigen.

2. Begriffliches

In der Literatur wird verschiedentlich hervorgehoben, es mangle den Begriffen ‹Kreatur› und ‹Würde› sowie dem Kompositum ‹Würde der Kreatur› noch an ausreichend genauer Bestimmtheit (Baranzke 2002 und 2008; Kunzmann 2007, 17–19). Die entsprechenden Wörter würden, so Heike Baranzke, äquivok verwendet: der gleiche Wortlaut verbinde sich mit unterschiedlichen semantischen Gehalten. Das triff allerdings auch auf den Begriff der Menschenwürde zu, moniert Peter Kunzmann. Zwar haben wir im Falle von ‹Würde der Kreatur› «in der Tat kein semantisch einheitliches Gebilde vor uns …, das sich durch eine verbindliche Definition ausweisen könnte»; doch legt auch bei ‹Würde des Menschen› keine klare Definition fest, was genau der semantische Gehalt des Ausdrucks sein soll (2007, 16). – Eindrücklich veranschaulicht dies die Kontroverse um die richtige Auslegung des Begriffs ‹Mensch› in der bio- und medizinethischen Auseinandersetzung um den Zeitpunkt, zu welchem ein werdender Mensch den mit dem Prinzip der Menschenwürde verbundenen unbedingten Schutz geniessen soll. Kunzmann hebt allerdings hervor, dass «dennoch … die ausserordentlich grosse Bedeutung der Menschenwürde als ethisches und rechtliches Prinzip nicht geleugnet» wird (2007, 16). Die Kraft der Tradition, die hier ihre Wirkung tut, fehlt dem Konzept der Würde der Kreatur. Dennoch ist nicht auszuschliessen, dass im Zuge der moralischen Evolution der Menschheit auch die Idee der Würde der Kreatur das Gewicht einer universalen sittlichen Errungenschaft gewinnt.

Eingehender in die Bemühung um die Klärung der Konzepte einzusteigen, ist hier nicht möglich. Andererseits lässt sich die Frage, ob ‹Würde der Kreatur› die Theorie und die Praxis der Menschenwürde beeinträchtige, nicht ohne eine wenigstens vorläufige Begriffsbestimmung bearbeiten. Ich muss deshalb darlegen, wie ich die einschlägigen Begriff hier verwende.

2.1 ‹Würde›

2.1.1 Zu Kants Sprachgebrauch
Wir sind heute geneigt, den Ausdruck ‹Würde’im Anschluss an Immanuel Kant zu verstehen. Allerdings hat Kant das Wort ‹Würde› nicht erfunden, sondern im Blick auf sein Ziel, ein oberstes Prinzip der Sittlichkeit als absolut verbindlich zu konstituieren (GMS 59 f.), interpretiert. Wir erinnern uns, dass er in diesem Kontext festlegt, dem Menschen als allein vernünftigem Wesen auf dieser Erde und kraft seiner sittlichen Autonomie komme Würde zu. Sie sei des Menschen «Prärogativ vor allen blossen Naturwesen» (GMS 72; vgl. 68). Worum es geht, verdeutlich Kant mit den Aussagen, der Mensch als Mitglied eines mögoichen Reichs der Zwecke sei, anders als jene blossen Naturwesen, «Zweck an sich selbst» (GMS 59), ihm eigne darum ein unbedingter, unvergleichlicher Wert (GMS 69), er sei «über allen Preis erhaben», ohne «Äquivalent» (MST § 37) und insofern Träger von Würde.

Dem Kantische Sprachspiel kommt bis heute hohe Bedeutung zu. Ob Kant aber zu Recht das Wort ‹Würde› ausschliesslich für sein Anliegen reserviert, ist eine andere Frage. Hier fällt die Antwort negativ aus. Zunächst zählt die Feststellung, dass Kant das Wort ‹Würde› für die Konstitution des kategorischen Imperativs zwar verwendet, jedoch nicht zwingend benötigt. Des Menschen Erhabenheit über jeden Preis, das Verbot seiner vollständigen Instrumenstalisierung sind ohnedies klar. In den Formulierungen des kategorischen Imperativs4 taucht ‹Würde› gar nicht auf. Sodann belehrt uns auch nur ein kurzer Blick in die Geschichte und den Bedeutungshof5 des Wortes ‹Würde› rasch, dass der Ausdruck auch auf andere als menschliche Wesen bezogen werden kann: auf Tiere, Bäume, Gebirge, Gebäude oder Institutionen.6 ‹Würde› kann also auf vielerlei Weise gebraucht werden, allerdings unter zwei Bedingungen: dass erstens der semantische Gehalt jeweils transparent ist und dass, zweitens, eine für die Verständigung minimale Kohärenz dadurch gesichert wird, dass Kerngehalte in jedem Fall beibehalten werden (Sitter-Liver, 1996, S. 140).

2.1.2 ‹Würde› allgemein
Kants Gebrauch des Würdebegriffs bleibt hilfreich für die Konstruktion eines allgemeinen Würdebegriffs.7 An die erste Stelle setze ich das Gewicht, das Kant auf das Dasein als Zweck an sich selbst legt. Würde trägt ein Wesen, das sich selber Zweck ist, auch dann, wenn es als Mittel eingesetzt wird. Das gilt auch für den Menschen; ausgeschlossen wird nur dessen vollständige Verzwecklichung.8 Das bedeutet, dass der Träger von Würde in seinem Kern – bei Kant in der Befähigung zur sittlichen Autonomie – zwar als unverletzlich gilt , jedoch in dilemmatischen Situationen von einer Güterabwägung nicht ausgeschlossen wird. Notwehr und Einsatz im Verteidigungskrieg sind hier die gängigen Beispiele. – Der zweite Aspekt betrifft die Erhabenheit über jeden Preis, ich übersetze mit «letztendlicher Unverfügbarkeit»
(Sitter-Liver, z. B. 1999, 472 und 2005, 79 f.), nehme damit Kants Gedanken auf, dass Würde sich nicht verwirken, nicht veräussern und im Prinzip auch nicht skalieren lässt. – Mit dem dritten Aspekt wird die gleiche Würde sämtlicher Träger von Würde stauiert; sie gilt prima facie, d. h. ohne im konkreten Fall sinnvollen und unausweichlichen Differenzierungen entgegen zu stehen. Mit dem Zusatz prima facie verlassen wir zwar die Kantische Argumentation, in der eine Relativierung menschlicher Würde nicht vorkommt. Doch an eine solche materiale Relativierung ist auch hier nicht gedacht: Würde als solche steht nicht zur Disposition, wohl hingegen in Konfliktfällen das Ausmass, in dem ihr Rechung getragen werden kann.9 – Aus Kants Verständnis von Würde lässt sich ein vierter Aspekt gewinnen: Kant spricht von einem höchsten, ja absoluten Wert, der dem Würdeträger eignet und niemandem zur Disposition steht. Im heutigen Sprachgebrauch setzen wir dafür den Ausdruck ‹Eigenwert› ein. Das Verhältnis zwischen Eigenwert und Würde entspricht dem Konzept Kants: Ein Wesen, dem wir aufgrund sorgfältiger und umsichtiger Begegnung einen Eigenwert zusprechen – mit Blick also auf ein fundamentum in re, nicht als zufällige Attribution – betrachten wir als Träger von Würde. ‹Eigenwert› bezieht sich auf eine Eigenschaft, die unabhängig von irgend einem Nutzen für andere besteht; vermittelt durch menschliche Vernunft und Moralität, verleiht sie dem Träger ein moralisches Recht auf Rücksicht.10 – Der fünfte Aspekt führt uns über Kants Sprachgebrauch hinaus. Ich spreche das Verbot der Erniedrigung an11. Gemeint ist damit jeder Akt, mit welchem dem im Würdebegriff immer schon mitgedachten moralischen Prinzip der Achtung entgegen gehandelt wird – jeder Akt also, der auf eine Entwürdigung zielt.12 – Der sechste Aspekt thematisiert die Vorgegebenheit der Würdeträger, kombiniert mit der existenziellen Abhängigkeit anderer von dieser weder herstellbaren noch aufhebbaren Vorgegebenheit. Was in dieser Weise existenznotwendig, jedoch nicht originär verfügbar ist, gewinnt Achtung und – als Begrenzung der Abhängigen – Würde. Dieses Verständnis öffnet den Weg zur Rede von auf natürliche Wesen bezogener Würde in der Natur.

Ich fasse zusammen: Den allgemeinen Würdebegriff, wie er in den Komposita ‹Menschenwürde› und ‹Würde der Kreatur› auftaucht, verwende ich wie folgt: Würde verweist

• auf Dasein als Zweck an sich selbst, als Selbstzweck,
• auf letztendliche Unverfügbarkeit,
• auf Vorgegebenheit für existenziell Abhängige,
• auf Prima facie-Gleichheit aller Träger von Würde,
• auf Eigenwert (inhärente Werthaftigkeit),
• auf das Verbot der Erniedrigung.

2.2 Menschen und ‹Menschenwürde›

Der allgemeine Würdebegriff schöpft den Begriff der Menschenwürde selbstverständlich nicht aus. – Da eine Diskussion der strittigen Fragen, ab wann seit der gelungenen Vereinigung von Eizelle und Sperma ein menschliches Wesen als Träger der Menschenwürde zählt und in welcher Verfassung es sich danach befinden muss, um als Träger bzw. Trägerin dieser Würde zu gelten, hier nicht geführt werden kann, habe ich, der Einfachheit halber, den seiner Vernunft mächtigen, zu sittlicher Autonomie befähigten Menschen beiderlei Geschlechts vor Augen. Differenzierungen, die sich nach Beantwortung der eben offen gelassenen Fragen aufdrängen, bleiben vorbehalten. Wichtig ist ferner, dass ich meine Überlegungen aus säkularer Perspektive, also auf dem Standpunkt des methodischen Atheismus anstelle. Anders ist universale Verständigung, ein inhärentes Ziel ethischer Diskurse, nicht zu erlangen.13

Befassen wir uns mit Menschenwürde auf der Plattform, welche, im Anschluss an Kant, die internationalen Verlautbarungen zur Menschenwürde und zu den daraus fliessenden Menschenrechten konstruieren, haben wir es im Wesentlichen mit Ansprüchen, Gestaltungs- und Herrschaftsklompetenzen zu tun. Nicht jedoch mit den Leistungen und Pflichten, ohne deren Beachtung das Konzept der Menschenwürde einäugig bliebe. Richtig vetstanden, muss es als wechselseitiges Beziehungssystem, als Verwirklichung der praktischen Idee von Humanität, also der Hingabe ebenso wie der Selbstvervollkommnung interpretiert werden.14 Wovon ich spreche, kann ich am besten mit einem Passus aus Robert Spaemanns Feder illustrieren:

«Die Überlegenheit des Menschen über die Tiere [für uns hier
‹Kreaturen›] … besteht in der komplementären Fähigkeit, der naturwüchsigen Expansion des eigenen Machtwillens Grenzen zu setzen, einen nicht auf eigene Bedürfnisse bezogenen Wert anzuerkennen». Diese Fähigkeit, «den eigenen Standpunkt zugunsten eines übersubjektiven zu relativieren …, das ist es, was wir Menschenwürde nennen. … Menschen können etwas, was sie tun möchten und was ihnen nützt, unterlassen, weil und nur weil es einem anderen Wesen schadet …. Sie können etwas, was ihnen unerfreulich und schädlich ist, deshalb dennoch tun, weil es einen anderen freut, ihm nützt oder auch, weil der andere einen Anspruch darauf hat. Die Fähigkeit, einen solchen Anspruch zu vernehmen und sich selbst gegenüber geltend werden zu lassen, nennen wir Gewissen. Als mögliches Gewissenssubjekt und nur als solches besitzt der Mensch das, was wir Würde nennen. Deshalb und nur deshalb, weil er seine eigenen Zwecke relativieren kann, ist er – wie Kant sagt – Selbstzweck…, hat er einen Anspruch darauf, nicht zum blossen Objekt fremder Herrschaft gemacht zu werden. Deshalb, weil er anderem als sich selbst zu wesensgemässem Dasein verhelfen kann, deshalb weil er einer universalen Verantwortung und Fürsorge fähig ist, hat es Sinn zu sagen, die gesamte Natur sei «seiner Herrschaft unterworfen». … Wenn Menschenwürde … etwas meint, was den Menschen [objektiv] auszeichnet, dann kann sie nur die Fähigkeit des Menschen meinen, Ehrfurcht zu haben vor dem, was über ihm, was neben ihm und was unter ihm ist (Goethe). Dann aber macht es gerade die Menschenwürde aus, das was ist, als es selbst und nicht nur als Bestandteil der eigenen Umwelt aufzufassen.»

Robert Spaemann. Tierschutz und Menschenwürde. In: Ursula M. Händel (Hrsg.): Tierschutz – Testfall unserer Menschlichkeit. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1984, S. 76f.

Spaemann lässt keinen Zweifel daran, dass Menschenwürde nicht bloss für Auszeichnung ist; sie muss ebenso als Herausforderung, ja als Zumutung aufgefasst werden. Als Auszeichnung demnach, die zugleich verlangt, dass der Mensch als sittlich autonomes Subjekt sie aktiv bewahrt und bewährt15. Dies nun nicht bloss im Umgang mit den Mitmenschen, sondern in der Begegnung und im Verkehr mit allen Mitwesen, mit denen er diese eine Welt teilt, sofern sie in seinen Wirkungskreis treten16. Immer also mit dem Ziel, diesen gerecht zu werden, sie, soweit nötig, wohl zu nutzen, aber auch sie zu schützen und zu fördern – unter sorgfältiger Abwägung der Interessen, die im Spiele sind.

2.3. ‹Kreatur›

Zur Bedeutung von ‹Kreatur› kann ich mich kurz fassen. Am wichtigsten ist die wiederholte Feststellung, dass sich mit dem Wort ‹Kreatur› keinerlei religiöse und theologische Assoziationen verbinden. Für die heutige Benutzung des Wortes sind, jedenfalls in Philosophie und Jurisprudenz, mögliche Konnotationen aus der Entstehungsgeschichte der Rede von der Würde der Kreatur irrelevant; es geht um auf Universalität ausgerichtete Verständigung. Damit werden persönliche Überzeugungen und Hindergründe nicht herabgemindert, auch nicht ihre Legitimität, im offenen Diskurs auf Aspekte zu verweisen, die zur allgemeinen Horizonterweiterung führen kötnnen.17

Um keinen Missverständnissen Vorschub zu leisten, wird hier also der Begriff der Kreatur so gebraucht, wie ihn aus säkularar Sicht Art. 120 Abs. 2 BV sowie Kommentare dazu verwenden: ‹Kreatur› steht ganz einfach für «Tiere, Pflanzen und andere Organismen».

2.4. ‹Würde der Kreatur›

Das Konzept der Würde der Kreatur umfasst alle Elemente der allgemeinen Bestimmung von ‹Würde› (s. 2.1.2) und wendet sie prima facie unterschiedslos auf sämtliche Kreaturen an. In erster Linie ist massgeblich das Dasein als Selbstzweck. Im Unterschied zu Kants nur auf die Menschen bezogene Konstruktion wird hier davon ausgegangen, dass eine Kreatur mit einem von menschlicher Willkür unabhängigen, eigenen Ziel existiert, dieses zu erreichen strebt, mithin ein eigenes Gutes besitzt, dessen Realisierung auf mannigfache Art beeinträchtigt werden kann. Für den Menschen, der diesen Eigenwert zu erfassen vermag, zugleich den moralischen Standpunkt einnimmt, verbindet sich dieser Eigenwert mit dem Anspruch auf moralische Berücksichtigung. Genau dies bringt der Begriff ‹Würde der Kreatur› zum Ausdruck. Er impliziert unter anderem Umsicht und Rücksicht, Schutz, Mässigung und Verzicht, Grenzen18 also, doch ebenso Zuwendung, Unterstützung und Förderung prima facie jeder Kreatur – soweit diese in den Aktionsbereich der einzelnen Menschen tritt. Dies selbstverständlich stets in den Grenzen dessen, was der einzelne vermag.19

Oben (2.1.2) wurde in den allgemeinen Würdebegriff und damit auch in das Konzept der Würde der Kreatur das Verbot der Erniedrigung aufgenommen. Damit entsteht eine wichtige Differenz zu Balzer, Schaber und Rippe. Der Begriff der Menschenwürde, so erklären sie, sei «auf … nicht-menschliche Lebewesen nicht anwendbar». Erniedrigt werden können nur Wesen, «die zur Selbstachtung fähig sind und über ein praktisches Selbstverständnis verfügen». Das sind «nur Menschen
(und vermutlich Bonobos und Schimpansen)» (1998, 13). Ich halte am Verbot der Erniedrigung als Element des allgemeinen Würdebegriffs und damit der Würde der Kreatur fest, und zwar aus folgenden Gründen:

Erstens geht es nicht um eine Übertragung des Begriffs der Menschenwürde schlechthin – dieser zeichnet sich, wie wir gesehen haben, noch durch ganz andere Qualitäten aus.– Zum Zweiten: Welche nicht-humanen Lebewesen über ein praktisches Selbstverständnis verfügen, ist ein offene Frage, die empirischer Forschung bedarf. Der Einbezug allein von Schimpansen und Bonobos hängt von einem geschichtlichen Kenntnisstand ab, der inzwischen vetieft wurde. In der Aufzählung fehlen etwa Gorilla und Orang-Utan. – Drittens und vor allem: Erniedrigung kann auch stellvertretend erfahren und bewertet werden, durch Menschen für auch nicht-menschliche Lebewesen. Das können Hunde sein, die mit Kunst als Legitimation Menschenkleider in Top-Modeschauen präsentieren (Billeter, 2000); oder Kapuzineräffchen in Menschenkleidern, an denen wir uns als Kinder vor 50 und mehr Jahren auf dem Jahrmarkt ergötzten. Das Schweizer Tierschutzgesetz (vom 16. Dezember 2005) trägt der seither erfolgten moralischen Entwicklung Rechung, wenn es in Art. 3 Bst. a unter anderem erläutert: «Die Würde des Tieres wird missachtet, wenn … es …erniedrigt wird, wenn tief greifend in sein Erscheinungsbild … eingegriffen … wird.»

Mit Blick auf unser immer noch erheblich begrenztes Wissen über Tiere und Pflanzen empfiehlt sich die generelle Lösung, das moralische Recht, nicht erniedrigt zu werden, in das Konzept der Kreaturenwürde zu integrieren. Das Vorsorgeprinzip legt dies nahe (vgl. TA-SWISS 2003, 29-32). Anpassungen aus empirisch gesicherten Gründen sind immer möglich.

3. Zur These von der Gefährdung der Menschenwürde

Die bisher vorgenommenen begrifflichen Klärungen dürften dreierlei verdeutlicht haben: dass ‹Menschenwürde› und ‹Würde der Kreatur› wesentliche Kernbedeutungen teilen; dass die Forderung nach semantischer Transparenz sich erfüllen lässt; dass die beiden Begriffe und damit ihr materialer Gehalt sich dennoch klar auseinander halten lassen. Von Würde lässt sich sinnvoll sowohl bei Menschen als auch bei Kreaturen sprechen. Ganz offensichtlich ist indessen das Konzept der Menschenwürde in unserer Sprache wesentlich reicher als jenes der Kreaturenwürde. Aus linguistischer Sicht ist eine Verwechslung bei auch nur geringer Aufmerksamkeit nicht zu erwarten. Umso weniger eine Gleichsetzung. Das schliesst, jedenfalls theoretisch, eine Gefährdung des einen Begriffs durch den anderen aus. Damit müssten auch hinsichtlich des materialen Gehalts (der Signifikate) der beiden Ausdrücke und der durch diese angesprochenen Gegenstände (die aussersprachlichen Träger von Menschen- und Kreaturenwürde) Missverständnisse und Gefährdung ausbleiben –Aufmerksamkeit und Wahrhaftigkeit vorausgesetzt. Trifft dies nicht zu, lässt sich nach den Ursachen, den Motiven und Interessen fragen. Einmal erhoben, sind diese ihrerseits einer ideologiekritischen Analyse zugänglich.

Faktisch wird die These der Gefährdung der Menschenwürde dennoch vertreten, allerdings, so weit ich sehe, noch ohne empirische Grundlage. Im Wesentlichen treffen wir auf zwei Formen: eine sanfte, die sich um das ungeschmälerte Wohl sowohl der Menschen als auch der Kreaturen sorgt; eine starke, der es vor allem um die Erhaltung der Menschenwürde geht. Auf zwei Beispiele muss ich mich beschränken.

Die sanfte Form vertrat jüngst Heike Baranzke (2008, 58). Für sie «spricht alles dagegen, Pflanzen und Tiere an dem Kantischen Begriff menschlicher (Dignitas-)Würde partizipieren zu lassen und auch nur terminologisch den Eindruck zu erwecken, als verkörperten sie moralische Selbstzwecke». Sie ist besorgt und die Klarheit der Begriffe, das «Instrumentarium philosophischer Problemanalyse». Auch rät sie ab von einer Naturalisierung der menschlichen Dignitas-Würde, «weil damit der Mensch als verantwortliches Subjekt unterminiert wird» (ebd.).20 – Folgendes lässt sich einwenden: 1. Würde der Kreatur, wie sie oben erläutert wurde, «partizipiert» nicht an Kants Konzept der Würde des Menschen; sie macht Kreaturen nicht zu moralischen Subjekten, sucht auch nicht, wie Kant, eine absolute Basis der Sittlichkeit. Was nicht hindert, dass sie einige wichtige semantische Elemente des von Kant entworfenen Würdebegriffs teilt. – 2. Wenn der gleiche Ausdruck ‹Würde› für die Auszeichnung von humanen und nicht-menschlichen Wesen gebraucht wird, dann zwar mit Gründen, nicht jedoch mit der Behauptung semantischer Identität. Kreaturen werden nicht als moralische Subjekte («moral agents») qualifiziert, wohl jedoch als moralische Objekte («moral patients»). – 3. Unerfindlich bleibt, wie durch eine Naturalisierung der menschlichen Dignitas-Würde «der Mensch als verantwortliches Subjekt unterminiert» würde. Wird Natur als gemeinsamer Grund humaner wie nicht-humaner Wesen aufgefasst, geht des Menschen Auszeichnung als moralisches Subjekt so wenig verloren wie wenn, zum Beispiel, schöpfungstheologisch Menschen und alle anderen Wesen sich einem gemeinsamen Schöpfergott verdanken.

Ein Beispiel für die starke Form der hier diskutierten Gefährdungsthese liefert Johannes Fischer. Zum Anlass nimmt er eine Entscheidung der Zürcher Tierversuchskommisson, die sich gegen ein Experiment mit Primaten ausgesprochen hat. Das Experiment war so ausgelegt, dass die Affen unter Wasserentzug gesetzt wurden. Die Kommission sah darin und also in der Nötigung zur Teilnahme am Versuch eine Verletzung der Tierwürde, wie sie durch Bundesverfassung und Tierschutzgesetz der Schweiz geschützt wird. Der Anlass selber ist Fischer weniger wichtig als die Begründung, derer sich die Kommission21 bediente: Sie argumentierte mit Bezug auf die Würde der Kreatur, im gegebenen Fall speziell der Tierwürde. – Halten wir gleich eingangs fest, dass sich Fischer in seiner kritischen Argumentation einzig auf das Gutachten von I. Praetorius und P. Saladin aus dem Jahre 1996 stützt; von der inzwischen vorhandenen reichen Literatur zur Sache ist nirgends die Rede. Worum es ihm wirklich geht, lassen seine letzten drei Sätze erkennen: «Nicht zuletzt geht es in dieser Debatte darum, dass der Begriff der Menschenwürde nicht verwässert wird. Im Würdebegriff verdichtet sich eine lange Geschichte der Sensibilisierung für die tiefe Verletzlichkeit des Menschen. Angesichts leidvoller Erfahrungen ist dieser Begriff zu kostbar, als dass er für Beliebiges verschleudert werden dürfte.»

Dem Anliegen, das Verständnis für Menschenwürde zu schärfen, es erzieherisch zu festigen und in gesellschaftlicher wie politischer Praxis zur Geltung zu bringen, kann man nur zustimmen. Der von Johannes Fischer eingeschlagene Weg weist freilich philosophische und wissenschaftliche Mängel auf. Fischer arbeitet mit einem nicht entfalteten und nicht offen und kritisch geprüften Vorverständnis von Menschenwürde, so mit der Behauptung, das Wort ‹Mensch› sei generell ein nomen dignitatis und der Gehalt von ‹Menschenwürde› nicht nur gesichert, sondern einfach zu definieren. Warum dies so sei und wo die Quelle für Gehalt und universale Anerkennung sprudelt, bleibt offen, es sei denn, man übernimmt die angebotene theologische Erklärung, was freilich für eine säkulare Begründung nicht ausreicht. Schwach bleibt auch die petitio principii, das Wort ‹Tier› sei im Unterschiedd zum Wort
‹Mensch› kein nomen dignitatis, es trage keine normative Bedeutung. Im aktuellen, offenen Diskurs um die Würde des Tieres oder, weiter gefasst, um die Würde der Kreatur geht es aber gerade auch um den Versuch, für das Gegenteil zu argumentieren. Ob das gelingt, bleibe dahin gestellt. Die empirisch nicht belegten Behauptungen des Autors dienen offensichtlich einzig dazu, einen vermeintlichen status quo zu zementieren. Zu einer – für andere dringlichen – moralischen und darum auch sprachlichen Veränderung, die dem Konzept der menschlichen Würde nicht nur nicht abträglich ist, vielmehr es vertieft, tragen sie nichts bei. Allerdings liefern sie auch kein lingistisch-historsisch gesichertes Argument, das zum Verzicht auf den Ausdruck ‹Würde der Kreatur› zu nötigen vermöchte.

4. Gefährdung der Menschenwürde durch den naturphilosophischen Ansatz

In ihrem lehrreichen Buch über «Die Würde der Kreatur?» tritt Heike Baranzke ein für die Unterscheidung von Würde als bonitas, die allen Geschöpfen zukommt, und der Würde als dignitas, die allein den Menschen als sittlich autonomes Wesen auszeichnet. Die Erläuterung dieser Differenz im Rückgriff auf die biblisch fundierte Schöpfungstheologie gehört nicht in den Kontext einer philosophisch-säkularen Diskussion. Anders verhält es sich mit der in unserem Zusammenhang besonders relevanten Kritik, die Baranzke damit verbindet. Dieser gemäss setzt der naturphilosophische Ansatz, welcher die Quelle von Würde überhaupt in der Natur verortet, Menschenwürde und Kreaturenwürde «von einer umfassenden Naturwürde ableitet», die Menschenwürde «als moralisch irrelevant» beiseite.22 Träfe diese Kritik ins Schwarze, erhielte der Vorwurf, wonach das Konzept der Würde der Kreatur das, was wir mit ‹Menschenwürde› ansprechen, trivialisiere oder gar zerstöre, erhebliches Gewicht.

Zunächst ist festzuhalten, wie hilfreich Baranzkes Analyse jenes Prozesses sich gestaltet, in dem das für uns Menschen relevante Konzept einer moralischen Würde in der Natur Platz greift. Mit D. Hume, G. E. Moore sowie der seither vorherrschenden Position in der Ethik23 erinnert Baranzke daran, dass eine deskriptiv festgehaltene Einsicht in die wie immer komplexe Struktur und Ausstattung von Organismen überhaupt an sich weder evaluativen noch normativen Gehalt besitzt. Wie denn, so fragt sie, entspringt für uns Menschen «eine Wert- und Verantwortungsbeziehung zu einem gegebenen Objekt?» «Was ist die Bedingung der Möglichkeit für eine moralische Wert- und Verantwortungsbeziehung eines moralischen Subjekts zu einem Gegenstand in der Welt?» Ihre Antwort lautet: Diese «Bedingung liegt in der Entdeckung, dass das moralische Subjekt die einzige Quelle moralischer Zwecksetzung in einer neuzeitlich moralisch zweckfreien Natur ist». Weder die Naturphilosophie noch die Naturwissenschaften sind hier hilfreich: die deskriptive Naturphilosophie nicht, weil sie es nicht mit moralischen Zwecken zu tun hat, die Naturwissenschaften nicht, weil sie sich nicht mit immanenten Naturzwecken befassen.

Eine Frage stellt Baranzke freilich nicht: warum denn das moralische Subjekt dazu komme, anderen als menschlichen Organismen so etwas wie moralische Bedeutsamkeit zuzusprechen. Beim Versuch, eine Antwort zu finden, lässt sich nicht ausschliessen, dass das moralische Subjekt sich hierzu auf Einsichten in die Verfassung von Lebewesen stützt; dass also der evaluative und normative Bezug zu nicht-menschlichen Lebewesen auf einem fundamentum in re aufruht. Diese Feststellung oder doch These beeinträchtigt die Geltung der transzendentalphilosophischen Antwort Baranzkes zwar nicht. Sie zeigt jedoch, dass ihre Antwort eine zwar notwendige, nicht jedoch zureichende Bedingung für den faktischen evaluativ-normativen Akt an die Hand gibt.

Dass Werte erst durch sittliche Wesen in die Welt kommen oder anders: dass Natur als die Menschen mit allen ihren Eigenschaften umfassendes Ganzes erst durch die moralfähigen Wesen Sittlichkeit gewinnt, ist nicht von vornherein unverträglich mit der Aussage, das wir Würde überhaupt, dann Moralfähigkeit im Besonderen letztlich in der Natur verankern. Was die genaue Bedeutung, möglicherweise die Brauchbarkeit einer solchen naturphilosophischen Konzeption ist, braucht uns im Augenblick nicht zu beschäftigen. Es genügt der Aufweis, dass die Rede von der Würde der Kreatur das Konzept der Menschenwürde weder zu vernachlässigen noch auch in Frage zu stellen braucht. Ich will dies gerade anhand eines jener Aufsätze belegen, auf die Baranzke ihre Kritik stützt. Grundlegend ist dabei der Gedanke, dass Mensch und Natur nicht zu trennen sind, Menschen ihr Dasein in und aus der Natur erhalten, in allem, was zu ihnen gehört, auch was sie anderen Wesen gegenüber einzigartig macht, so eben ihre Moralfähigkeit, ihre sittliche Autonomie, ihre Fähigkeit, sich als Selbstwert zu sehen und sich selber zu achten. Auch das Vermögen, die Natur als Ganzes wie in ihren Erscheinungen zu erfahren, anzusprechen, in Wert zu setzen. Der Satz, was immer in der Natur auftrete, verdanke letztlich seine Würde, wiewohl vom Menschen konstruiert, der Würde der Natur, mag Missverständnissen rufen, klingt manchen Ohren vielleicht zu pathetisch; er reduziert jedoch nirgends den emphatischen Begriff der Menschenwürde, auch nicht dessen uns geläufige Verwurzelung in der Bestimmung, die Kant für ihn gefunden hat. Er schliesst auch eine schöpfungstheologische Interpretation nicht aus; das tun erst das Selbstverständnis und der methodische Anspruch der säkularen Philosophie.

Hier nun der angekündigte Beleg. In einem Aufsatz, der ‹Würde der Kreatur› als Metapher und als Ausdruck erkannter Verpflichtung diskutierte, war zu lesen: «In Kants Sprachspiel scheint eine Übertragung des Würdebegriffs auf nichtmenschliche, nicht freiheitsfähige Wesen ausgeschlossen. Freilich, in der Sorge um die Reinheit des Prinzips der Sittlichkeit und um den Nachweis faktischer Verpflichtung konzentriert Kant sich ganz auf den Menschen in dessen vernünftigen Natur. Der Gedanke, dass Sittlichkeit als vom Menschen gelebte Moralität auch von natürlichen Bedingungen abhängt, bleibt aus Kants Sprachspiel ausgeblendet. Erst nichtmenschliche Natur aber gewährt dem Menschen die [notwendigen] Bedingungen dafür, Würde zu tragen und zu bewahren. Gerade auch in seiner Befähigung zu Autonomie, zu Sittlichkeit und zu Transzendenz, geht der Mensch aus der Natur hervor. Kommt ihm in bestimmter Hinsicht Würde zu, dann aufgrund seiner besonderen [Natur] und damit zugleich der allgemeinen Natur als … das eine und schöpferische Ganze24.» Wir können, wenn wir das für sinnvoll erachten, auch jenem Grund, aus welchem Menschen in ihrem Wert und ihrer Würde hervorgehen, Würde zuschreiben. «Etwa so, dass wir davon sprechen, die Natur erst lasse im Menschen Würde zur Erscheinung gelangen.» (Sitter-Liver 1999, 471 f.)

Es ist für mich nicht ersichtlich, wie «der Mensch als verantwortliches Subjekt letztlich unterminiert wird» (Baranzke 2008, 58), wenn wir seine besondere Würde auch über deren natürlichen Ursprung reflektieren. Hier stellt sich einmal mehr die Frage, die Richard Rorty aufgeworfen hat, ob und wie weit «das Instrumentarium philosophischer Problemanalyse» (Baranzke, ebd.) in einem nicht sinnvoll ergänzbaren., sondern in einem ein für allemal verschlossenen Kasten liegt.25 Dass Pflanzen und Tiere keine (Dignitas-)Würde besitzen, ist trivial, wenn dignitas so definiert wird, dass sie alles ausser Menschen ausschliesst. Für die Durchleuchtung des theoretischen wie auch des praktischen Verhältnisses zwischen Menschenwürde und Würde der Kreatur ist mit dieser Engführung allerdings nichts Zwingendes gewonnen.

5. Wie Menschenwürde wirklich gefährdet wird

In einer anderen, nicht sehr angenehmen Perspektive erscheint der philosophische und theologische Streit um die Gefährdung der Menschenwürde durch das Konzept der Würde der Kreatur als naiv, man ist versucht zu sagen als akademische Selbstüberschätzung, die den Blick verstellt auf die wirklichen und ernst genug zu nehmenden Gefahren für Konzept, Anliegen und Praxis der Menschenwürde. Der Streit erhält dann den Anstrich eines Glasperlenspiels, eines Spiels allerdings, das auch politisch, insbesondere wissenschafts- und wirtschaftspolitisch instrumentalisiert werden kann. Davon mehr im nächsten Abschnitt.

Faktisch werden die Idee der Menschenwürde und die aus dieser entspringende Forderung nach entsprechender Praxis weltweit laufend und erschreckend wirksam mit Füssen getreten. Es gibt diesbezüglich – zumindest in den Gesellschaften der sogenannt entwickelten Länder – kein unschuldiges Nichtwissen. Wenn ich dennoch mit einer Aufzählung aufwarte, dann in der Überzeugung, dass es gerade in der Praktischen Philosophie (und der dieser analogen Theologie) fragwürdig ist, sich mit Theorien und Argumenten zu befassen, ohne die soziale, insbesondere die wirtschaftliche und politische Wirklichkeit, auf die hin sie entworfen und verteidigt werden, ausreichend zu beachten. Die lückenhafte Aufzählung dürfte ausreichen, vor Augen zu führen, wie marginal philosophische und theologische Dispute um Klärung, Schutz und Festigung oder eben auch um eine Beeinträchtigung der Menschenwürde sein können – sieht man von ihrer ebenso erhofften wie in der Tat energisch angestrebten erzieherischen Wirkung ab.

Erinnern wir uns also daran, dass jährlich mit horrend vielen Milliarden Dollar oder Euro stets effizientere Instrumente zur Zerstörung von Menschen, ihrer kulturellen und natürlichen Umwelt produziert werden; dass der Export solcher Produkte auch mit dem Hinweis auf deren Bedeutung für Bruttoinlandprodukte, ineins damit für das Wohlleben von Menschen zu Lasten anderer Menschen legitimiert wird. Es sind dies Mittel, die anderwärts dringlich für die Sicherung würdiger Existenz von Mitmenschen benötigt würden. Denken wir an die Millionen Tonnen Lebensmittel, Mais zum Beispiel, die verbrannt werden, um Marktpreise hoch zu halten; an die Herstellung von Treibstoffen aus landwirtschaftlichen Produkten – während weltweit mittlerweile eine Milliarde Menschen hungern und Hungers sterben. Unser Blick fällt unschwer auf sexuelle Gewalt, auf den Missbrauch von Frauen in kriegerischen Auseinandersetzungen; auf den Menschenhandel, dem Kinder und Frauen in erster Linie, dann auch versklavte Männer zum Opfer fallen: ein Handel, der zu einem der einträglichsten Geschäfte geworden ist26. Erschreckend sind die zunehmende Produktion und der Genuss von Kinderpornographie; die Inflation von Gewalt und Zerstörung von Menschen am Fernsehen, in der Filmindustrie, in den Killerspielen am Computer, alles zum Zeitvertreib. Gesprochen werden muss gerade heute vom Horten von Mafia- und Fluchkapital, dann von den profitgierigen, betrügerischen und Kunden, also Menschen verachtenden Praktiken in Banken27. Zu Beispielen über Vernachlässigung bzw. Trivialisierung der Menschenwürde wir man auch in humanbiologischer und medizinischer Forschung und Entwicklung fündig, etwa wenn nicht Einwilligungsfähige, darunter Kinder, in Versuche einbezogen werden sollen, die nicht unmittelbar einer auf sie ausgerichteten Therapie dienen (Forschung, in welcher der ethisch verbriefte Vorrang der negativen Pflicht, nicht zu gefährden oder zu schädigen, durch die Intention, andern zu nützen, bestenfalls also durch Wahrnehmen einer positiven Pflicht überrollt wird).28 Wem das alles nicht genügt, mag sich im jüngsten Jahresbericht von Amnesty International (AI) umsehen. Von den 157 durch AI untersuchten Ländern foltert die Hälfte, und mehr als die Hälfte sperrt Menschen ohne Anklage und Gerichtsverhandlungen ein- dazu gehören auch sogenannt entwickelte Länder, die sich verbal fürdie Menschenrechte stark machen. 78 Prozent aller Hinrichtungen gehen in den G20-Staaten über die Bühne. Und warum sollten wir nicht von den sich häufenden Unmenschlichkeiten sprechen, die uns Fans und Hooligans im Anschluss an Fussballspiele in den europäischen Ländern bescheren (Der Bund, 2009; NZZ, 2009).

Die Sorge um die Trivialisierung des Prinzips der Menschenwürde mit all den Rechten, die aus ihm fliessen, durch die als Metapher zu verstehende (Sitter-Liver 1999) und entsprechend auszulegende Würde der Kreaturen kann, je nach dem Sorgenträger, verhältnisblind oder unaufrichtig wirken. Die Abwehr des Versuchs, auch etwa aufgrund rezenter wissenschaftlicher Einsichten (vgl. Stöcklin 2007) auf neue Weise über die nichtmenschlichen Kreaturen nachzudenken, in der Folge kulturelle Errungenschaften in eine noch ungewohnte, indes adäquatere Sprachform zu giessen, lässt sich bei offenen Augen mit dem einfachen Hinweis auf die Gefährdung des Konzepts der Menschenwürde nicht rechtfertigen. Das Konzept wie die Forderung nach seiner unbedingten Achtung sind längst prekär.

Nicht über eine zum Teil kritische, zum Teil arrogante Polemik gegen das Konzept der Würde von Tieren und Pflanzen, sondern auf anderen und wirkungsvolleren Wegen müssen die Menschwürde und die mit ihr verbundenen unbedingten sittlichen und dann auch rechtlichen Pflichten gefestigt und durchgesetzt werden. Wenn es stimmt – und viele Erfahrungen sprechen dafür-, dass die Art und Weise, wie wir mit Anderen: Mitmenschen, Tieren und Pflanzen umgehen, unser Selbstbild spiegeln, also das Ergebnis von Erziehung und Bildung darstellen, dann sind es in erster Linie adäquate Erziehung und Bildung, bei denen unsere Anstrengungen einsetzen müssen. Und weil wir zur Genüge erfahren, dass in unserer pluralistischen und heute interkulturellen Menschenwelt universale ethische und dann auch rechtliche Überzeugungen und Regelungen nicht ohne ständige Anstrengung von uns allen, immer nur in vorläufiger, aber doch jeweils unverzichtbarer Form zu gewinnen sind, besteht ein weiterer Weg darin, uns gegenseitig in diskursiver, das heisst fairer und gewaltloser Weise stetsfort von der Richtigkeit und Verbindlichkeit jener Werte, Prinzipien und Normen, denen wir uns gemeinsam unterziehen wollen, zu überzeugen. Das kann auch im Hinblick auf das Konzept der Würde der Kreatur geschehen. Denn, ich wiederhole, Menschenwürde begründet nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten, darunter die Pflicht, dem Ideal der Humanität nach bestem Wissen und Gewissen nachzuleben. Es umfasst immer auch die «intervenierende Solidarität mit den Hilf- und Rechtlosen» (Teutsch 1987, 92), zu denen neben Menschen auch jene Wesen zählen, die uns in ihrem Dasein ausgeliefert sind. Auch ihnen haben wir uns zuzuwenden, haben ihnen in fairer Weise zu begegnen, umsichtig mit ihnen umzugehen auch dann, wenn wir sie in unserem Interesse benutzen, ja vertilgen müssen.29 Darauf zielt das Verfassungskonzept der Würde der Kreatur. Es hilft uns, unsere in der Tat einzigartige Würde auszuleben und zu festigen.

6. Wie Würde der Kreatur gefährdet wird

Solange der Streit um die Frage, ob das Konzept der Würde der Kreatur die Menschenwürde als Begriff und Praxis gefährde, auf philosophischer und theologischer Ebene ausgefochten wird, könnte man sich bei dem Gedanken beruhigen, es handle sich um einen Hauszwist. Das geht dann nicht mehr, wenn dieser Streit, wie erwähnt, auf die Felder von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft verlegt wird. Da kann er mit dem Anspruch, angeblich übergeordneten Interessen zu dienen, ausgetragen werden – zum Schaden der Würde der Kreatur und der dieser inhärenten Verpflichtung, das moralisch richtige Verhältnis zwischen Mensch und Kreatur von sogfältiger, unparteiischer Güterabwägung bestimmen zu lassen. Auch hierzu fehlt es nicht an Material zur Veranschaulichung; ich beschränke mich auf zwei Beispiele.

Im bundesparlamentarischen Umfeld der Schweiz war bereits vor Jahren zu hören, man habe sich über die möglichen Auswirkungen des Konzepts der Würde der Kreatur nicht Rechenschaft gegeben, als man den Begriff in die Verfassung aufnahm. Das wird heute wiederholt. Anlass gibt insbesondere die Arbeit der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH), welche sich im Auftrag des Bundesrats (Exekutive) und zuständiger Verwaltungsstellen um die Konkretisierung jenes Begriffs bemüht.30 Die unumgänglich limitative Funktion des Begriffs ist der Lobby der Tiere und Pflanzen nutzenden Forschung und Industrie ungeheuer und nicht genehm. Wissenschafts-, insbesondere Forschungsfreiheit werden als durch die Verfassung verbriefte Rechte dagegen ins Feld geführt, allerdings ohne in der Argumentation zu berücksichtigen, dass auch Grundfreiheiten nie schrankenlos gelten; dass, je nach Lage, Verfassungsbegriffe wie jener der Würde der Kreatur im Prinzip wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen mit Erfolg entgegen treten können. Konkreten Anlass geben dabei nicht die Auseinandersetzung um Geltung und Reichweite von Prinzipien, vielmehr Einzelprobleme. Darunter figurieren die ethische Bewertung von Forschungsprojekten, in denen Primaten erheblichen Belastungen ausgesetzt werden; oder es geht um die Frage, welche ethischen Probleme sich mit einem Versuch verbinden, gentechnisch veränderte Pflanzen ins Freiland auszusetzen. Irrtum vorbehalten, werden in der Regel von Seiten der interessierten Industrie und Wissenschaft, dann auch von entsprechend bearbeiteten Mitgliedern des Parlaments als wichtigste Argumente vorgebracht: Grundlagenforschung werde verunmöglicht und moralische Bedenken würden den Wirtschafts- und den Forschungsstandort Schweiz im globalren Wettbewerb gefährden. Auf ersten Blick sind dies gewiss beeindruckende Thesen. Rasch aber entpuppen sie sich als überzogen. Einmal sind Wirtschaft und Wissenschaft in der Schweiz nicht nur von biotechnologischen und biomedizinischen Errungenschaften und Produkten abhängig, so wichtig diese sind. Zum andern darf man annehmen, dass einzelne abgelehnte Verfahren oder Produkte einen vielfältigen und gut etablierten Standort und dessen Wettbewerbsfähigkeit nicht generell in Frage stellen. Das Gegegnteil kann im Ernst wohl nur vertreten, wem in erster Linie an der rhetorischen Kraft solcher Übertreibungen liegt. Wenn in diesem Zusammenhang philosophische bzw. theologische Argumente vorgebracht werden, dann, so der empirisch nicht unbegründete Verdacht, nicht der Menschenwürde wegen. Darauf lässt etwa schliessen, dass eine öffentliche Veranstaltung zweier angesehener Hochschulen zum Thema der Ablehnung eines mit Primaten arbeitenden Forschungsversuches sich mit zwei Vortragenden begnügt, wobei der eine ein direkt engagierter Forscher, der andere ein Theologe ist, dessen ablehnende Haltung gegenüber dem Konzept der Würde der Kreatur bekannt ist.31 Eine Person einzubeziehen, die eine Gegenposition hätte verteidigen können, entsprach offenbar nicht dem Konzept der Organisatoren; der Diskurs um Sinn und Funktion des Konzepts der Würde der Kreatur wurde abgeblockt. Das dies mit wissenschaftlicher und insbesondere ethischer Wahrheitsfindung wenig zu tun hat, bedarf keiner Erörterung.

7. Fazit

Die Anerkennung der Würde der Kreaturen – als Erscheinungen in der Natur – wird zum Prüfstein der Würde des Menschen.32

Die Konstruktion eines Gegensatzes zwischen Kreaturenwürde und Menschenwürde wird der Sachlage nicht gerecht. Schon darum nicht, weil sich die beiden Ausformungen des Würdebegriffs ohne Anstrengung klar differenzieren lassen. Noch deutlicher wird das Verhältnis von Würde der Menschen und Würde der Kreaturen, wenn wir, wie geschehen, Menschen und übrige Kreaturen als Ausformungen ein und derselben Mitwelt oder Natur auffassen: der Natur, in der sie alle als deren Erscheinung auftreten. Das Konzept der Würde, einmal in seiner Anwendung auf Menschen, dann in der Anwendung auf alle anderen Mit-Daseienden betrachtet, wird zum Schlüssel für das tiefere Verständnis der einzigartigen Stellung und Aufgaben der Menschen in dieser Welt: Als vernunftbegabte Wesen sind sie in der Lage und als moralische Existenzen dazu berufen, Natur als Quelle der an Würde orientierten Auslegung der Welt anzusprechen. Das heisst aber auch, dass die Anerkennung der Würde der Kreaturen in der Natur zum Prüfstein der Würde des Menschen wird. Von einem Konflikt lässt sich unter dieser Voraussetzung nicht sinnvoll sprechen.

Dem, was so auf der Hand zu liegen scheint, sowohl theoretisch als auch und vor allem praktisch zuzustimmen, fällt freilich vielerorts nicht leicht. Denn die «erkenntnistheoretische [und sittliche] Grundposition der Moderne, die die Freiheit des Einzelnen in den Mittelpunkt stellt und auf Aneignung, Kontrolle und Besitz des Anderen» – damit aber primär auf ichbezogene, möglichst weit reichende Maximierung von Gewinn und Geltung «ausgerichtet ist, hat tiefe Spuren im Ethos und in der Persönlichkeitsstruktur derer hinterlassen, die heute aufgerufen sind, der Menschenwürde und der Kreaturwürde alltäglich gelebte Gestalt zu geben.» Ein allgemeiner und umfassender «Aufklärungsprozess, der die Begrenztheit und Endlichkeit der Menschen», ihre existenznotwendige wechselseitige Bezogenheit auf Andere, auch auf nichtmenschliche Wesen «und ihre unaufgebbare Eigenschaft, Teil eines verletzlichen Kosmos zu sein, ins Zentrum rückt» (Praetorius / Saladin 1996, 46), steht immer noch erst am Anfang. Die kurzsichtige und irrige Behauptung, das Konzept der Würde der Kreatur gefährde die Menschenwürde, liefert dafür einen sprechenden und entschleiernden Beleg. Weiterer Aufklärung bedürfen wir in der Tat, durch sie einer neuen kulturellen Errungenschaft: der Achtung für alle nichtmenschlichen Lebewesen, gefasst in den allgemein verständlich gemachten33 Leitbegriff der Würde der Kreatur.

Literatur

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Anmerkungen

  1. Vgl. z. B. Odparlik, S. und Kunzmann, P. (Hg.) (2007, 1); darin Baranzke (35), Odparlik (73 u. a.). Wieder in Odparlik, S. et al. (Hg.) (2008), darin Baranzke (39), Sitter-Liver (161 u.a.).
  2. Der entsprechende Passus aus Art. 24novies aBV wurde ohne Änderung in die Totalrevision von 1999 übernommen und figuriert dort neu als Art. 120 Abs. 2 BV: «Der Bund erlässt Vorschriften über den Umgang mit Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen. Er trägt dabei der Würde der Kreatur sowie der Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt Rechnung und schützt die genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten.»
  3. Vgl. für viele den Kommentar von Rainer J. Schweizer zu Art. 120 BV in B. Ehrenzeller et al. (Hg.) 2008, 1864 f., 1870 f.; Baranzke 2002, 15-36; Kunzmann 2007, 13-26; Leimbacher schon 1988; Teutsch 1995; Praetorius Ina und Saladin Peter 1996; Nida-Rümelin J. / von der Pfordten D. (Hrsg.) 1995; Sitter-Liver 1995, 2001, 2005; Arz de Falco, Andrea und Müller, Denis 2001. – Bereits 1980 hatte der Kanton Aargau in seiner neuen Verfassung den Begriff eingeführt. Er verlangt, dass Lehre und Forschung in den Wissenschaften «die Würde der Kreatur» achten (§ 14). 1993 doppelte der Kanton Bern nach und legte in Art. 21 Abs. 2 seiner neuen Verfassung nicht wörtlich, jedoch dem Sinne nach auf Würde zielend fest: «Die in Wissenschaft, Forschung und Lehre tätigen Personen nehmen ihre Verantwortung gegenüber der Integrität des Lebens von Menschen, Tieren, Pflanzen und deren Lebensgrundlagen wahr.»
  4. Insbesondere in der Dritten Formulierung, als «praktischer Imperativ» (GMS, 61).
  5. Vgl. hierzu die sorgfältige Analyse bei Wolf (2009, 15. f.). Sie analysiert zunächst ‹Würde›, soweit der Ausdruck auf Menschen bezogen wird, argumentiert dann überzeugend dafür, ihn «auf alle Organismen anzuwenden».
  6. Vgl. Teutsch (1995, 21– 23) sowie die dort erwähnten Wörterbücher.
  7. Zur Erörterung der Kernbedeutungen vgl,. jetzt Rippe 2008, 67 – 89; auch Brenner 2008, 201, 222 u. ö. (siehe Stichwortverzeichnis, S. 271).
  8. «Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloss als Mittel brauchest.» (GMS 61; Hervorhebung Verf.)
  9. Vgl. hierzu Siegetsleitner (2007, 114 f.): Abgewogen wird nicht der Wert, «sondern die Bedürfnisse, Fähigkeiten usw., die für das Wohlergehen berücksichtigt werden müssen.» – «So kann [bei im Prinzip gleicher Würde] auf einer konkreten Ebene von dem, was Würde bei Menschen fordert, nicht direkt darauf geschlossen werden, was sie bei Tiren und Pflanzen fordert.» Insofern wäre es ratsam, nicht von Würde schlechthin zu sprechen, «sondern von der Würde des Menschen, der Tiere, der Pflanzen etc.» (115).
  10. Für viele jetzt Rippe (2008, 103–105, 126–132).
  11. Die Gleichsetzung von Würde mit dem Verbot der Erniedrigung zuerst bei Balzer, Schaber, Rippe (1998, 28-31).
  12. Wozu auch die selbst verschuldete Blindheit für Würde und die Abgestumpftheit zählen.
  13. Aus diesem Grunde schliesse ich für mich die Unterscheidung von bonitas und dignitas, mit welcher Heike Baranzke so trefflich arbeitet, aus (vgl. Baranzke, 2002, 53-77 u. ö.). Zum Erfordernis der Universalität s. Sitter-Liver (Hg.) (2009).
  14. Vgl. hierzu exemplarisch Albert Schweitzer (1988, 32-37; den Artikel über Humanität (ebd., 129-132); 1990 / 1996, 328-336 und 348-353 u. ö.).
  15. Siehe hierzu Sitter-Liver 1999, 474 f.; 2005, 15 und 18; 2008, 176).
  16. Eine Einschränkung, die gerade Albert Schweitzer, der sonst für grenzenlose Verantwortung eintritt, immer wieder hervorhebt (bes.1990/1996 u. ö.).
  17. Vgl. hierzu Habermas mit seinem Beitrag zur Funktion der religiösen Sprache, die zum Ausdruck oder Vorschein bringt, was sonst übergangen würde. XXXXX
  18. Zur Würde als Grenzbegriff siehe Sitter-Liver (2008).
  19. Zu diesem Abschnitt liegt viel Literatur vor. Nur exemplarisch und in der Absicht, auf weitere Quellen aufmerksam zu machen, erwähne ich Rippe 2008, Brenner 2008, Sitter-Liver 2008, die beiden von Odparlik und Kunzmann herausgegebenen Sammelbände 2007 und 2008.
  20. Mit dem Terminus ‹Naturalisierung› Hat Heike Baranzke die naturphilosophische Position im Visier, von der aus auch Menschenwürde als Ereignis in der als natura naturans verstandenen Natur interpretiert werden kann. Vgl. dazu Sitter-Liver 1995 und 1999. Dazu ihre Kritik in 2008, Anm. 25 und 34. In letzterer findet sich allerdings ein Missverständnis, wenn Baranzke behauptet, ich setze «die mit der Menschenwürde verbundene moralische Autonomie als irrelevant bei Seite». Auch moralische Autonomie lässt sich ohne Verlust als Erscheinung der natura naturans interpretieren – wie das ja, mutatis mutandis, auch aus theologischer Sicht nicht ausgeschlossen ist.
  21. Und jetzt bereits zwei juristisch kompetente Verwaltungsstellen, darunter das kantonale Verwaltungsgericht, welche den Kommissionsentscheid stützten. Das Geschäft liegt zur Zeit beim Bundesgericht, der höchsten richterlichen Instanz der Schweiz.
  22. Baranzke 2008, 55, Anm. 34. Vgl. auch 43 f., Anm. 25.
  23. Vgl. aber jetzt die kritische Studie von Alexis Fritz (2009).
  24. Ein Konzept (sic!), um das wohl letztlich auch die reflektierenden experimentellen Naturwissenschaften nicht herumkommen, ganz besonders nicht die Biologie und in ihr wiederum die Molekularbiologie. Das Konzept und die in ihm steckende intellektuelle Herausforderung werden nicht schon dadurch hinfällig, dass man, polemisch, von „trendigem Rousseauismus“, von der „im Zeitgeist so stark präsenten Verherrlichung der Natur“, ja vom „neoheidnische(n) Naturkult“ spricht. Die Evolutionstheorie, wird sie nicht bloss als Instrument benutzt, sondern auf ihre Voraussetzungen befragt, steht dem Konzept keineswegs „diametral entgegen“. Sie ist Theorie der Evolution als eines phänomenalen Geschehens, damit nicht schon Ergründung von dessen Herkunft. Vgl. zu dieser Kontroverse den anderen, von Alex Mauron (1998, 12 – 17), Molekularbiologe und Ethiker, prägnant vertretenen Standpunkt.
  25. „Interessante Philosophie“, so schrieb Richard Rorty in seinem Aufsatz zur «Kontingenz der Sprache», „ist nur selten eine Prüfung der Gründe für und wider eine These. Gewöhnlich ist sie explizit oder implizit ein Wettkampf zwischen einem erstarrten Vokabular, das hemmend und ärgerlich geworden ist, und einem neuen Vokabular (bzw. Sprachspiel), das erst halb Form angenommen hat und die vage Versprechung grosser Dinge bietet.» «Was die Romantiker mit der Behauptung zum Ausdruck brachten, dass Phantasie, nicht Vernunft, das zentrale menschliche Vermögen sei, war die Erkenntnis, dass die Begabung, anders zu sprechen, nicht die Begabung, gut zu argumentieren, das Hauptinstrument kulturellen Wandels ist.» (Rorty 1995, 30, 25, 45, 28.)
  26. World Vison 2009.
  27. Aktuell und erhellend, als pars pro toto, die Beispiele bei Zeyer 2009. Lohnend auch ein Blick auf die Webseite der AG Friedensforschung an der Uni Kassel, etwa das Interview mit Jean Ziegler zu seinem Buch Das Imperium der Schande. München 2005: C. Bertelsmann Verlag. http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Globalisierung/ziegler.html (konsultiert am 29.3.2009).
  28. Vgl. hierzu einen interessanten Passus aus Kurt Seelmanns Rechtsphilosophie, 2001, 113 f.: «Sogar ein für sich genommen moralisch vertretbares Handeln kann in seinen nicht gewollten Nebenwirkungen so problematisch erscheinen, dass deshalb rechtliche Verbote erwogen werden müssen. An dieser Stelle wären etwa die bekannten «Dammbruch»-Argumente anzusiedeln. Forschung an überzähligen Embryonen oder Präimplantaionsdiagnostik könnte bei anderen Menschen möglicherweise – das wäre eine empirisch zu erforschende Frage – ie Wertschätzung menschlichen Lebens beeinträchtigen. Lässt man Embryonenforschung zu, entstehen dann nicht auch Gefahren für individuelles menschliches Leben, weil man die Hemmschwelle für Forschungen am Menschen generell senkt? Oder gestattet man die Forschung an überzähligen Embryonen, gibt man dann nicht geradezu einen Anreiz dafür, mehr Embryonen in vitro bereits zu entwickeln, als der Frau eingepflanzt werden können?» – Vgl. auch die Bioethik-Konvention 1997, Art. XXXXX oder den zur Zeit im Schweizer Parlament diskutierte Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Forschung am Menschen. XXXXXX
  29. Zur dilemmatischen Verfassung der conditio humana wie zur humanitären Bewährung in ihr vgl. immer noch exemplarisch Schweitzer, z. B. 1988, 32-37 und 1990/1996, 337-242.
  30. Vgl. EKAH und EKTV 2001, EKAH und EKTV 2006, EKAH 2008.
  31. Quellen angeben. Bericht im Internet, direkt von ETH XXXXXXX.
  32. Vgl. Sitter-Liver 1984, 95: Der Mensch existiert nicht ausserhalb der Natur, sondern ist von dieser hervorgebracht, als Teilsystem in einem grossen Ganzen. Er ist sich selber als der Zwecke Setzende von der Natur geschenkt. Diese ist denn, auch in allen ihren Erscheinungen, keinesfalls nur Mittel für ihn, vielmehr seine Bedingung – seiner gerade auch als eines vernünftigen Wesens. Trägt er Würde, verdankt er sie, so betrachtet, der Natur. Auf Kant selber dürfen wir uns bei solcher Sprachregelung berufen, wenn er Vernunft, den Quellgrund der Menschenwürde, als Geschenk der Natur auffasst. Die Natur hat «unserem Willen Vernunft zur Regiererin beigelegt» (GMS 20). «Die wahre Bestimmung der Vernunft liegt darin, einen von sich selbst guten Willen hervorzubringen., wozu schlechterdings Vernunft nötig war, wo anders die Natur überall in Austeilung ihrer Anlagen zweckmässig zu Werke gegangen ist» (GMS 21 f.; vgl. auch GMS 60). Insofern gebührt der Natur und all ihren Erscheinungen Achtung, die ihrerseits Anerkennung von Würde ausdrückt.
  33. Vgl. hierzu die hilfreichen Erläuterungen von Peter Kunzmann zum Ausdruck Würde des Tieres› als ein «meme» (Analogiebildung zu ‹gene›), in 2007, 16-19. Sie sind im Wesentlichen und mutatis mutandis auf den Begriff der Würde der Kreatur übertragbar.