Für Florianne
Beat Sitter-Liver erzählt (Interview): « Mit dem Begriff ‹Würde der Pflanze› wollen wir einer neuen Einsicht, einer erweiterten moralischen Grundhaltung und damit einer ethischen Errungenschaft Ausdruck verleihen. Im Grunde genommen ist es nicht wichtig, ob wir dafür das Wort ‚Würde‘ oder einen anderen Ausdruck wählen. Allerdings kommen die Geschichte von ‚Würde‘ und die Assoziationen, die sich mit diesem Wort verbinden, unserem Anliegen entgegen.
Worum es geht: Wir erfahren Anderes neu und tiefer in dem, was es von sich aus ist, was es als es selber für uns bedeuten kann. Dieses Andere mutet uns zunächst fremd an, es ist uns indessen in wichtiger Hinsicht auch schon vertraut: Es ist ein Lebewesen, ein Wesen, welches ein eigenes Gutes besitzt, dem aber etwas auch abträglich sein kann – das für es Schlechte. Beobachtung lehrt uns, dass dieses Andere – nicht gleich, aber ähnlich wie wir – sich durch «Gebürtigkeit» auszeichnet. Zwar zögern wir, bei Pflanzen von Gebürtigkeit zu sprechen; doch auch die einzelne Pflanze entsteht aus etwas anderem, sie entwickelt sich, sie durchläuft einen existentiellen Zyklus, in welchem Entfaltung zu einer besonderen Höhe (zu einem individuellen Ziel) über Vergehen ins Wegsterben mündet. Wir stehen einem Wesen gegenüber, das lebt, das als dieser besondere Prozess nicht auf Grund der Macht von Menschen existiert, auch wenn solche Macht es prägen, ihm helfend beistehen oder es schädigen mag. Als ein diesem Sinne eigenständiges Lebewesen trägt es einen Wert in sich selber, einen Eigenwert. Mit diesem Ausdruck weisen wir auf etwas hin, das das Wesen des Anderen mit ausmacht und dieses darum als im Grunde seines Daseins von uns unabhängig deklariert.
Der Ausdruck ‚Würde‘ trug zunächst soziale Bedeutung. Auch wir brauchen das Wort immer noch, um Achtung gebietenden Wert auszudrücken, welcher einem besonderen uns gegenüber stehenden Menschen kraft seiner Fähigkeiten oder seiner Funktionen, seines daraus entspringenden sozialen Status zukommt. Doch haben wir längst gelernt, mit dem Wort auch das Einzigartige und höchst Wertvolle eines jeden menschlichen Wesens zur Sprache zu bringen – das eben, was jeder und jedem eine gewisse Unverfügbarkeit, ja Unantastbarkeit verbürgt.
Der lateinische Ausdruck dignitas humana, dem das deutsche ‚Würde‘ entspricht, findet sich schon bei Cicero, bedeutet dort vor allem des Menschen Vernünftigkeit und edle Bildung. Die christliche Lehre bindet den Begriff ‚Würde‘ besonders an die Gottebenbildlichkeit. Die Frage stellt sich, ob angesichts solcher Quellen die Übertragung (Metapher) des Ausdrucks ‚Würde‘ vom Menschen auf andere Lebewesen noch angemessen sei. Gehe ich davon aus, dass nichtmenschliche Lebewesen blosse Sachen sind, eine Art lebender Maschinen, ausschliesslich zur Befriedigung meiner Interessen gedacht, dann erscheint die Übertragung als absurd, sie ist nicht nachvollziehbar. Wenn ich aber Lebewesen nicht nur als etwas Verfügbares betrachte, sondern als etwas, das in seinem Dasein ein eigenes, von mir nicht abhängiges Gutes besitzt, verstehe, dann lässt sich die Metapher mit guten Gründen vertreten.»
Karfreitag, 25. März 2005